Grundsätze für eine Politik der Religionen
Ausgangspunkt: Erklärung der Menschenrechte
Artikel 18 (Gedanken-, Gewissens-, Religionsfreiheit) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lautet:
"Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen."
Grundsätze
Folgende Grundsätze sollten die Basis für einen Umgang der Politik mit Religionen bzw. Religionsgemeinschaften bilden.
1. Religion ist Privatsache
Religion ist grundsätzlich Privatsache. Der Staat sollte alle Religionen gleich behandeln und die innerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens ausgeübte Religionstätigkeit weder behindern noch einzelne Religionsgemeinschaften privilegieren.
2. Primat des Staates
Der Staat bzw. die staatlichen Regeln, Gesetze und Organe stehen in ihrem Autoritätsbereich grundsätzlich über den religiösen Regeln und Organen. Von den religiösen Gemeinschaften wird ein klares und auch gelebtes Bekenntnis zum Primat des freiheitlich-demokratischen Staats und seinen Regeln erwartet. Die Exponenten der einzelnen religiösen Gemeinschaften sind gehalten, dieses Primat den Mitgliedern ihrer Gemeinschaft glaubhaft zu vermitteln und auch vorzuleben.
3. Religionsfreiheit innerhalb des gesetzlichen Rahmens
Es besteht in der Schweiz ein verfassungsmässig garantiertes Grundrecht zur Religionsfreiheit. Es besteht also die Freiheit, seine Religion frei zu wählen, einer Religionsgemeinschaft beizutreten und deren Riten bzw. Praktiken auszuüben. Diese Freiheit ist im historischen und geographischen Kontext nicht selbstverständlich und deshalb positiv zu würdigen. Die Freiheit des Einzelnen hat jedoch ihre Grenze am Recht des Anderen auf ein ebenso freies und würdiges Leben. Der Staat und seine rechtlichen Normen bilden die Basis für diesen Interessenausgleich. Die Religionsfreiheit kann folglich nur soweit gelten, als sie nicht die Rechte anderer Menschen bzw. die gesetzten rechtlichen Normen verletzt.
4. Säkulare Schulen – interreligiöse Bildung
Sowohl öffentliche als auch private Schulen sollen auf der Basis von freiheitlichen und humanitären Werten, aber nach strikt religionsneutralen Kriterien geführt werden. Das gegenseitige Verständnis zwischen den Kulturen und Religionen soll aktiv gefördert werden. Religiös motivierte Dispensationen sowie das Tragen religiöser Symbole sind an der Schule grundsätzlich unerwünscht und wenn immer möglich zu vermeiden. Diskriminierende Aussagen über andere Religionen und deren Vertreter sowie den Staat gehören weder an öffentliche noch an private Schulen und sollen auch im Religionsunterricht nicht geduldet werden.
5. Gut ausgebildete und verantwortungsbewusste Seelsorger
Die Exponenten einer Religionsgemeinschaft, wie z.B. die Seelsorger, werden in religiösen Angelegenheiten von den Gläubigen als Autoritäten anerkannt. Was ein religiöser Exponent über andere Religionen und deren Anhänger sowie über das Verhältnis von Religion und Staat sagt, prägt die Einstellung vieler Gläubiger nachhaltig. Die einzelnen Religionsgemeinschaften stehen in der Verantwortung, gut ausgebildete und mit den kulturellen Eigenheiten der Schweiz vertraute Seelsorger einzusetzen. Diskriminierende und abwertende Äusserungen von religiösen Exponenten gegenüber anderen Religionen oder die Ablehnung des Primats des Staats und seiner Gesetzte sind nicht tolerierbar.
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Version vom 10. April 2023
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