Die Gemeinwohl-Ökonomie

Was ist Ziel und Zweck der Gemeinwohl-Ökonomie?

Wie soll die Gemeinwohl-Ökonomie verwirklicht werden?

Wo liegen die Knackpunkte der Gemeinwohl-Ökonomie?

Worum es geht

Die Geschichte

Die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie geht zurück auf Joachim Sikora und Günter Hoffmann, die 2001 die "Visionen einer Gemeinwohl-Ökonomie" (Katholisch-Soziales Institut der Erzdiözese Köln, 2001) entwarfen. Elemente dieser Vision waren Regiogeld, Schwundgebühr, leistungsorientiertes Grundeinkommen (im Sinne einer negativen Steuer) und Bodenreform. 2008 legte » Christian Felber mit seinem Buch "Neue Werte für die Wirtschaft" (Paul Zsolnay Verlag, 2008) die Grobskizze einer neuen Wirtschaftsordnung vor.

Mittlerweile ist die Bewegung zur Gemeinwohl-Ökonomie nach eigenen Angaben in 100 regionalen Gruppen in über 40 Ländern aktiv.

Was ist das Ziel der Gemeinwohl-Ökonomie?

Die Promotoren der Gemeinwohl-Ökonomie streben eine Wirtschaftsordnung an, die für alle Menschen die gleichen Rechte, Freiheiten und Chancen vorsieht. Die Gemeinwohl-Ökonomie soll den Fokus von Geld und Kapitalvermehrung hin zum Gemeinwohl verschieben. Anstatt auf Konkurrenz und Gewinnmaximierung setzt die Gemeinwohl-Ökonomie auf gemeinwohlfördernde Werte wie Kooperation und Solidarität.

Die Eckpunkte des Konzeptes

Basis des aktuellen Modells sind die Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen sowie 20 inhaltliche Eckpunkte. Diese Eckpunkte sind bislang noch relativ vage formuliert und sollen in einem breiten Beteiligungsprozess konkretisiert werden. Mit Hilfe von Volksabstimmungen sollen Teile des Modells auch in den Verfassungen verankert werden. U.a. folgende Eckpunkte werden zur Diskussion gestellt:

Gemeinwohlorientierung

Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen

Finanz- und Geldsystem

Einkommen und Besitz

Partizipation

Diskussion

Die Grundidee ist diskussionswürdig

Die Grundidee einer am Gemeinwohl orientierten Wirtschaft erscheint sympathisch in einer Zeit, in der der einzelne Mensch sich zunehmend von der Eigendynamik einer globalisierten Wirtschaft überrollt fühlt (» Neoliberalismus). Einzelne der eingebrachten Ansätze sind denn auch durchaus diskussionswürdig und wurden teilweise in der Schweiz sogar zur Abstimmung gebracht, allerdings (noch) mit einem negativen Ergebnis.

Was ist Gemeinwohl?

Es existiert keine allgemein akzeptierte und verbindliche Norm dafür, was als 'Gemeinwohl' anzusehen ist. Dies müsste in einem umfassenden demokratischen Willensbildungsprozess erst bestimmt werden.

Anschliessend müssten auch die Elemente einer Gemeinwohl-Ökonomie (siehe Punkte oben) sowie deren konkrete Ausgestaltung in einem demokratischen Prozess konkretisiert und legitimiert werden.

Die Realisierung einer Gemeinwohl-Ökonomie bedingt einen massiven Kulturwandel auf verschiedenen Ebenen. Ein solcher Wandel braucht erfahrungsgemäss viel Zeit. In der Schweiz mit seinem direktdemokratischen System dürfte dies ein längerer Prozess werden.

Allerdings würden bereits die Thematisierung und breite Diskussion einer auf das Gemeinwohl ausgerichteten Wirtschaft wertvolle Impulse liefern und wirtschaftspolitische Massnahmen ermöglichen, die das System langsam und schrittweise in die Richtung von mehr Gemeinwohl bewegen.

Fehlende Standards für die Gemeinwohlbilanz

Eine grosse Herausforderung dürfte die Definition eines allgemeingültigen Standards für die Ermittlung der Gemeinwohlbilanzen darstellen. Konkret stellen sich die folgenden Fragen:

Es hat bereits verschiedene Versuche gegeben, das Gemeinwohl in Indikatorensystemen abzubilden, so z.B. die Modelle einer betrieblichen 'Sozialbilanz', das System der 'OECD-Sozialindikatoren', der 'OECD Better Life Index' oder das von Bhutan eingebrachte Konzept des 'Bruttonationalglücks'. In der Praxis hat bisher keines dieser Konzepte ausreichende Akzeptanz und Verbreitung gefunden, um sich als allgemeiner Standard durchsetzen zu können.

Kollektivistische Elemente erschweren Umsetzbarkeit und Akzeptanz

Die Gemeinwohl-Ökonomie beansprucht für sich selbst, eine Markt- und keine Planwirtschaft zu sein. Sie enthält jedoch verschiedene Elemente, die stark an eine kollektivistische Planwirtschaft kommunistischer Prägung erinnern. Ansätze wie z.B. eine Bodenreform oder die faktische Enteignung der Eigentümer grösserer Unternehmen stellen massive Eingriffe in das verfassungsmässig garantierte Recht  auf Eigentum dar.

Die Erfahrung mit kollektivistischen Ansätzen mag punktuell positiv sein (z.B. in Klöstern), im grossen Stil umgesetzt enden diese Ansätze erfahrungsgemäss immer in totalitären bürokratischen Systemen, die nicht nur die Freiheit der Bürger stark beschneiden, sondern in aller Regel wirtschaftliche Prosperität und Innovation abwürgen und einen stark negativen Effekt auf die Lebensqualität ausüben (» Sozialismus).

Fazit

In der aktuellen Ausgestaltung ist das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie im besseren Fall eher etwas weltfremd, im schlechteren Fall der Ausgangspunkt für ein totalitäres System.

Die grundsätzliche Stossrichtung sowie einzelne Aspekte des Ansatzes sind jedoch durchaus bedenkenswert und sollten weiterverfolgt werden.

Links / Literatur

» GWÖ - Die Gemeinwohl-Ökonomie

» Die Sozialinitiative der evangelischen und katholischen Kirche

» Peter Ulrich, Ethik, Politik und Ökonomie des Gemeinwohls, Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik zfwu 20 (2019), Heft 3, S. 296-319

» Zurück zur Übersicht 'Ethik'

Version vom 11. April 2023

espirit.ch