Kulturelle Basis für ein nachhaltiges Wirtschaften
Für die Realisierung eines nachhaltigen Wirtschaftens braucht es eine neue Kultur der Mitverantwortung
Mehr Macht und Reichtum verpflichten zu mehr Mitverantwortung
Ohne Mit- und Selbstverantwortung geht es nicht
Auch mit einer ausgeklügelten Struktur an Regelungen sowie umfassenden sozialen Unterstützungs- und Ausgleichsmechanismen lassen sich nicht alle Risiken und (sozialen) Ungleichheiten beseitigen.
Die wirtschaftspolitische Struktur alleine wird kaum je ausreichen, um ein ökologisch und sozial verträgliches Wirtschaften zu realisieren. Als Wertebasis für die Struktur braucht es eine verstärkte Kultur der Mit- und Selbstverantwortung.
Jeder Bürger muss seine Verantwortung wahrnehmen
Der Staat kann dem Bürger nicht alle Entscheide, Probleme und Verantwortungen abnehmen. Die soziale Marktwirtschaft und die direkte Demokratie der Schweiz basieren vielmehr auf der Rechtschaffenheit sowie der aktiven Mit- und Selbstverantwortung jedes einzelnen Bürgers. Sind diese nicht mehr gegeben, kann das System auf Dauer nicht funktionieren.
Der Bürger muss bereit sein, seine Verantwortung wahrzunehmen. Wo immer möglich, sollen nach sozial und ökologisch vertretbaren Standards hergestellte und vertriebene Produkte den Vorzug erhalten (» Konsumethik).
Geiz ist nicht geil sondern dumm
Geiz und Habgier auf Kosten Dritter ist nicht 'geil' sondern dumm und kurzsichtig. Soziale Institutionen (Krankenkassen, IV) sind keine Milchkühe, die mit Schlaumeierei optimal zu melken sind; sie sollen bei Bedarf beansprucht werden, so lange und soweit als notwendig.
Persönliches soziales und/oder politisches Engagement sollten selbstverständlich sein, und sei es auch nur als Wähler und möglichst aktives Mitglied eines Vereins.
Von der Fakten- zur Lebensschule
Unsere Schulen sollen vermehrt zu Lebensschulen werden, d.h. es soll weniger Faktenwissen, dafür mehr Wissen und Techniken über eine gute Lebensgestaltung für mehr innere Zufriedenheit und Lebensglück vermittelt werden. Die Schüler sollen in der Schule lernen,
- wie sie mit Problemen und Lebenskrisen fertig werden,
- wie sie ihre Gesundheit erhalten,
- wie sie ihrer Kreativität Ausdruck verleihen,
- wie sie eine erfolgreiche Partnerschaft aufbauen können,
- wie sie sich in einer Gemeinschaft verhalten sollten.
Vermittlung von Werten und Tugenden
Es mag sich konservativ anhören, aber Werte und Tugenden sind nach wie vor zentrale Elemente für ein gutes Funktionieren der Gesellschaft. Wichtig ist deshalb eine Werteschulung, d.h. eine Sensibilisierung für ethische Fragestellungen sowie die gezielte Förderung von positiven Verhaltensmustern (» Tugendethik). Die Schüler sollen beispielsweise lernen, wie sich ihre Konsumentscheide auf das Gesamtsystem auswirken.
Eine umfassende Lebensschule mit einem breiten Spektrum ist für die Weiterentwicklung der Gesellschaft heute wichtiger als eine zunehmende Akademisierung der Bildung.
Verantwortungsbewusstes Unternehmertum
Freiheit ist immer mit Verantwortung gekoppelt
Ein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem kann ohne unternehmerische Freiheit nicht funktionieren. Eine zu hohe Regelungsdichte hemmt sowohl die Innovationskraft als auch die laufenden Anpassungsprozesse der Unternehmen. Unternehmerische Freiheit muss aber immer mit Verantwortung für Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Gesellschaft und Umwelt im In- und Ausland gekoppelt sein.
Durchdachte Lohnsysteme
Das Lohn- und Incentivierungssystem muss so gestaltet werden, dass sich verantwortungsloses Verhalten nicht auszahlt (siehe » Bonussysteme auf dem Prüfstand).
Die eigene Machtposition nicht missbrauchen
Zur Mitverantwortung gehört auch, die eigene Machtposition weder für politischen Lobbyismus noch zur persönlichen Bereicherung zu missbrauchen. Das gilt umso mehr in einer Zeit, wo die Macht einzelner Führungskräfte bzw. die Marktmacht einzelner Unternehmen durch Unternehmenszusammenschlüsse immer grösser wird und die national agierenden politischen Kräfte zunehmend auszuhebeln vermögen. Vor diesem Hintergrund müssten auch Unternehmens-Zusammenschlüsse kritischer hinterfragt werden, als dies heute noch der Fall ist.
Gewinne und Verluste privatisieren
Echtes Unternehmertum privatisiert nicht nur die Gewinne, sondern auch die Verluste. Gefragt sind umfassend gebildete, menschlich reife, integre und verantwortungsbewusste Unternehmer und Führungskräfte.
Reichtum verpflichtet
Es wird immer wieder argumentiert, dass Reichtum durch einen hohen persönlichen Einsatz legitim erworben sei und zudem über Konsum und Investitionen in neue Unternehmungen zur Prosperität der ganzen Gesellschaft beitrage. Das mag bis zu einem gewissen Grad stimmen, ist aber nur die halbe Wahrheit.
Reichtum wird nicht im luftleeren Raum erzeugt
Hohe Profite und grosse Vermögen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern werden immer mit Hilfe bzw. auf Kosten Dritter erzielt. Die Wohlhabenden verdanken ihren Reichtum nur zu einem Teil ihrer (gottgegebenen) Begabung und ihrem persönlichen Einsatz.
Wohlhabende verdanken ihren Reichtum zu einem guten Teil ihren Vorfahren, der Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter, der Zahlungsbereitschaft ihrer Kunden, der Ausbeutung natürlicher Ressourcen sowie günstigen Rahmenbedingungen (z.B. günstigen Rohstoffen und Halbfabrikaten aus Schwellenländern, Verbot von Parallelimporten, etc.).
Individueller Reichtum kann ohne die Ressourcen einer Gemeinschaft nicht erworben werden. Aus diesem Grund besteht auch kein moralischer Anspruch auf ein Vermögen oder einen Lohn, der weit jenseits des persönlich Leistbaren liegt. Gäbe es nämlich alle diese günstigen äusseren Bedingungen nicht, könnte kein Reichtum akkumuliert werden.
Ein Unternehmer soll einen anständigen Profit erwirtschaften, ein Kadermitarbeiter einen angemessenen Lohn verdienen können. Es ist jedoch fraglich, ob für eine Führungskraft ohne unternehmerische Risiken ein Einkommen von mehreren Millionen Schweizerfranken pro Jahr angemessen ist.
Reichtum verpflichtet
Mit dem Reichtum müsste eine moralische Verpflichtung für das Gemeinwohl einher gehen. Aus dieser Verpflichtung müsste die Bereitschaft entstehen, den eigenen Reichtum zum Nutzen der Gemeinschaft einzusetzen, sei es in sozialen und ökologischen Projekten oder auch nur durch die Reinvestition des Gewinns bzw. des Kapitals in sozial- und umweltverträgliche Unternehmungen.
Wichtig ist heute auch die Bereitschaft, sich nicht mit allen Mitteln gegen sozial und ökologisch sinnvolle Rahmenbedingungen zu sperren, auch wenn sie dem eigenen Reichtum kurzfristig nicht förderlich sein sollten.
Die regelmässigen rhetorischen Drohungen einzelner Wohlhabender, die Schweiz oder einen bestimmten Kanton zu verlassen, sollten ihnen die Rahmenbedingungen nicht mehr zu 100% passen, sind etwas peinlich, handelt es sich doch meist um Menschen, die ohnehin schon sehr viel mehr haben als alle anderen zusammen.
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Version vom 11. April 2023
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