Einleitung
Religion im Sinne einer Auseinandersetzung mit „höheren Mächten“ ist ein allgemein verbreitetes Phänomen auf dieser Welt. Es gab und gibt kaum eine Kultur, die keinen Bezug zu einer Religion aufweist. Es stellt sich daher die Frage, warum es überhaupt so etwas wie Religionen gibt. Entstanden Religionen mit ihrem Glauben an höhere Mächte aus der Angst der Menschen vor dem Tod? Diente die Auseinandersetzung mit „höheren Mächten“ dazu, mit Unerklärlichem umzugehen? Wurden Religionen zum Zweck entwickelt, die Mitmenschen zu kontrollieren? Gehen Religionen auf Transzendenzerfahrungen einzelner Menschen zurück, die ihre Erfahrung geteilt haben? Entspringen Erfahrungen von Transzendenz aus zufälligen neuronalen Zuständen oder krankhaften Veränderungen im Gehirn? Gibt es so etwas wie Gott bzw. das Absolute überhaupt?
Wir haben keine abschliessenden Antworten auf diese und weitere solche Fragen. Die aufgrund von Überlieferungen, Schriften und Artefakten dokumentierte Entwicklung der menschlichen Zivilisation lässt allenfalls gewisse Muster erkennen. ↑
Erklärungsansätze
Die folgenden Erklärungsansätze sind denkbar:
- Kultureller Prozess. Es ist wissenschaftlich erhärtet, dass die Menschen bereits in der Frühzeit versucht haben, sich selbst sowie ihre Um- und Mitwelt zu verstehen. Phänomene, die sie nicht einordnen konnten bzw. die ihr Überleben gefährdet haben, wurden „höheren Mächten“ zugeschrieben. Diese Mächte wurden mit Attributen versehen und es wurde versucht, sie mittels Riten gnädig zu stimmen, um der Gemeinschaft z.B. mit guten Ernten, Jagd- oder Kriegsglück das Überleben zu sichern (Religion als Kontingenzbewältigung). So lassen sich in verschiedenen Kulturen z.B. die Opfer-Riten als Austauschhandlungen zwischen Menschen und Himmelsmächten bzw. Göttern verstehen. Mit dem Opfer „bezahlt“ die Gemeinschaft für die Unterstützung oder mindestens die Nicht-Schädigung durch „höhere Mächte“. In einem Jahrtausende dauernden Prozess haben sich daraus die heute bekannten Religionen entwickelt (siehe auch Wikipedia: » Geschichte der Religion). Nicht so recht in dieses Bild passen jedoch die Erfahrungen von Transzendenz und die daraus abgeleiteten Einsichten und Lehren, wie sie z.B. in den bereits in der vedischen Kultur ab ca. 700 v. Chr. entstandenen Upanishaden zu finden sind. ↑
- „Kinder Gottes“. Verschiedene religiöse Lehren und auch die Beschreibungen von Mystikern gehen davon aus, dass es so etwas wie ein Absolutum (Gott) gibt und dass jeder Mensch eine innere Verbindung dazu hat, ja dass wir letztlich alle „Kinder Gottes“ bzw. Manifestationen oder Schöpfungen dieses Absoluten sind. Der Gedanke ist deshalb naheliegend, dass die Menschen die mehr oder weniger bewusste Sehnsucht haben, sich mit dem Absoluten zu verbinden. Einigen Menschen ist eine direkte Gotteserfahrung vergönnt. Manche erzählen ihren Mitmenschen von dieser Erfahrung und zeigen ihnen Wege auf, wie sie ihre Verbindung zum Absoluten bewusst machen und erhalten können. Das kann der Ausgangspunkt sein für Lehrreden, religiöse Texte und letztlich eine institutionalisierten Religion. Es ist denkbar, dass einzelne prägende Exponenten einer Religion, wie z.B. die Religionsbegründer selbst, bis zu einem gewissen Grad eine direkte Einsicht in das Absolute (Gott) hatten bzw. haben und versuchen bzw. versucht haben, diese Erfahrung sowie die Erkenntnisse daraus für ihre Mitmenschen nutzbar zu machen. Für diese These würden z.B. die in den Upanishaden oder im Pali-Kanon dokumentierten und Buddha zugeschriebenen Lehrreden sprechen. Es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass sämtliche religiösen Texte auf der Basis von Vermutungen und Phantasie basierende Narrative zur Welterklärung sind, die der Harmonisierung der Gesellschaft dienen. ↑
Es ist denkbar, dass Religionen auf eine Kombination dieser, sowie weiterer Erklärungsansätze und Ursachen zurückgehen. Es ist auch möglich, dass die verschiedenen Religionen unterschiedliche Ursachen haben.
Was ist der Nutzen von Religionen?
Unabhängig davon, wie die verschiedenen Religionen entstanden sind, haben sie zentrale Gemeinsamkeiten, was ihren Nutzen für den Einzelnen und für die Gesellschaft angeht:
- Ewiges Seelenheil. Alle Religionen versprechen das ewige Seelenheil bzw. die Befreiung von der Mühsal des Lebens in dieser Welt. Bedingung dafür ist die Einhaltung von Riten, Regeln und Geboten bzw. das Befolgen eines spirituellen Pfads.
- Sinn und Orientierung. Religionen betten das Schicksal des Einzelnen in einen grösseren (Sinn-)Zusammenhang ein, einen Rahmen, der dem Leben Sinn und Orientierung bietet. Dies kann das persönliche Wohlbefinden des Einzelnen fördern und helfen, auch schwierige Situationen im Leben zu meistern, gerade auch im aktuellen Kontext einer sich verdüsternden Weltlage.
- Sozialer Zusammenhalt. Institutionalisierte Religionen und Glaubensgemeinschaften haben in aller Regel auch eine wichtige soziale Funktion. Gemeinsam geteilte Werte und Rituale fördern den Zusammenhalt einer Gemeinschaft. Viele Religionsgemeinschaften führen zudem Sozialwerke, die einen wichtigen Beitrag an die Wohlfahrt und das friedliche Zusammenleben leisten. ↑
NB. Der potenzielle Nutzen von Religionen für eine Gesellschaft wird in der Praxis teilweise relativiert durch negative Begleiterscheinungen wie Machtmissbrauch durch religiöse Exponenten, Repression und eingeschränkte Freiheit des Individuums, eingeengtes Weltbild bis zur Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse, Intoleranz gegenüber anderen Weltbildern und Religionen, Fundamentalismus oder gar Fanatismus.
Religion ist Glaubenssache
Die zentrale Grundlage jeder Religion ist der Glaube an übernatürliche Mächte bzw. Geister oder an ein Absolutum (Gott). Die Existenz dieser übernatürlichen Mächte oder eines Absolutum lässt sich jedoch nicht beweisen und ist letztlich immer eine Glaubensfrage, die sich rationaler Beweisführung entzieht (» Das Absolute).
NB. Die Entwicklung und Ausprägung von Religionen lassen sich zwar wissenschaftlich untersuchen, nicht jedoch ohne weiteres deren transzendente Grundlage.
Fazit. Religion ist letztlich immer Glaubenssache.
Die Position von espirit. Der Autor von espirit geht im Grundsatz von der These aus, dass es Gott bzw. ein Absolutum gibt und wir alle einen wenn auch nicht immer bewussten Bezug dazu haben („Kinder Gottes“). Der Autor ist sich bewusst, dass in der Praxis die Transzendenz-Erfahrung nur ein Aspekt von Religion darstellt. ↑