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Die Religionsstifter

Welche Sicht auf die Religionsstifter ist die korrekte? Welcher Religionsstifter ist der Beste – Jesus, Buddha oder jemand anderes? Was ist die Rolle der heiligen Frauen und Männer?

Inhaltsverzeichnis

Die verschiedenen Rollen der Religionsstifter

Alle Weltreligionen ausser dem Hinduismus gehen auf einen namentlich bekannten Begründer zurück, der aus seiner Sicht des Absoluten gelehrt bzw. dieses geoffenbart hat. Bei der Betrachtung der Religionsstifter muss zwischen den folgenden Rollen unterschieden werden:
1. der historischen Person
2. der in den jeweiligen Heiligen Schriften dargestellten Person
3. der von der Philosophie bzw. Theologie definierten Person
4. der für die persönliche spirituelle Praxis relevanten Person 

1. Die historische Person

Was an den Lebensgeschichten der historischen Religionsstifter echt und was Legende ist, lässt sich in der Regel nicht mehr erhärten. Vom historischen Jesus z.B. ist, von der Bibel und einzelnen Apokryphen einmal abgesehen, nichts bekannt. Das gilt analog auch für Buddha. Sie müssen jedoch ausserordentliche Menschen gewesen sein, um derart tiefe Spuren zu hinterlassen. 

2. Die in den Heiligen Schriften dargestellte Person

Was wir von den Religionsstiftern wissen, steht in den jeweiligen Heiligen Schriften. Jesus z.B. wird in den Evangelien als ein von Gott inspirierter spiritueller Lehrer und Heiler mit Wunderkräften dargestellt, der das was er predigt auch glaubwürdig vorlebt. Er selbst spricht von sich meist als ‚Menschensohn‘. Seine Hingabe an Gott ist so gross, dass er trotz der Möglichkeit zur Flucht bereit ist zu sterben, wenn dies dem göttlichen Plan entspricht. Buddha wird als ein Suchender dargestellt, der nach einem langen inneren Prozess zur Erleuchtung gelangt und anschliessend viele Jahre (die Schriften sprechen von über 40 Jahren) lehrend durch Indien zieht. Es ist denkbar (und menschlich), dass die Religionsstifter in den Heiligen Schriften unter einem verklärten Blickwinkel dargestellt werden. 

3. Die in Philosophie und Theologie definierte Person

In der Theologie bzw. Philosophie einer Religion wird versucht, auf der Basis der in den Heiligen Schriften dargestellten Person ein konsistentes Bild des Religionsstifters im Kontext seiner Lehren aufzubauen.

Jesus Christus

Zur Zeit von Jesus war Palästina von den Römern besetzt. Es gab jedoch zahlreiche Gruppen von Aufständischen, die sich gegen diese Besatzung gewehrt und Anschläge auf römische Einrichtungen verübt haben. Gemäss Bibel wurde Jesus von den Römern am Kreuz hingerichtet. Dies war eine Strafe, die von den Römern für schwerwiegende Verbrechen verhängt wurde. Es ist gut möglich, dass die Römer Jesus für den Anführer einer Gruppe von Aufständischen hielten. Vielleicht war ihnen die zunehmende Anzahl seiner Anhänger und die Verehrung, die ihm entgegengebracht wurde, suspekt (vergleiche dazu auch, wie das chinesische Regime, u.a. in besetzten Gebieten wie Tibet und Xinjiang, mit Glaubensgemeinschaften umgeht, die nicht unter seiner vollen Kontrolle stehen » mehr…). Denkbar ist auch, dass Jesus von Vertretern der jüdischen Gemeinde als politischer Aufrührer denunziert wurde, da er die religiöse Tradition des Judentums sowie die Macht der religiösen Elite in Frage stellte. Die ersten Anhänger des Christentums mussten sich also etwas einfallen lassen, um dem schmachvollen Tod ihres spirituellen Führers einen Sinn zu geben und ihn gleichzeitig zu erhöhen. Jesus wird demnach als ‚Gottes Sohn‘ bzw. ‚Christus‘ dargestellt („… mit dem Vater wesensgleich und ewig wie dieser, von ihm verschieden und doch mit ihm eins.“), der gestorben ist, um uns von unseren Sünden zu erlösen (Opfertod), und der auferstanden ist (von Gott von den Toten auferweckt und zur Herrschaft berufen), um allen Menschen beizustehen, die sich an ihn wenden. 

Der Religionsstifter als Projektionsfläche

Die Theologie bzw. Philosophie einer Religion vermittelt somit in erster Linie ein mit der jeweiligen Philosophie konsistentes Konzept des Begründers bzw. eine Projektionsfläche für das Absolute, das sie für die Gläubigen verkörpern. Inwieweit dieses der jeweiligen historischen Person entspricht, ist nicht feststellbar. Eine solche Übereinstimmung ist aber auch gar nicht notwendig, denn die für die Lebenspraxis entscheidende Rolle des Religionsstifters ist diejenige der spirituellen Leitfigur bzw. Projektionsfläche. 

4. Die für die persönliche spirituelle Praxis relevante Person

In der spirituellen Praxis dienen die Religionsstifter auch heute noch vielen Anhängern als spirituelle Leitfiguren, als Brücke zum Absoluten bzw. zum eigenen göttlichen Funken oder zur eigenen Buddhanatur. Diese Rolle ist die eigentlich zentrale für die Anhänger einer Religion, denn sie dient dem individuellen bzw. kollektiven spirituellen Wachstum am besten. Dies ist mit einem verklärten Blick auf die historische Person sowie einer theologischen Unterfütterung der Brückenfunktion zum Absoluten einfacher zu realisieren. 

Beziehen sich die Religionsstifter auf dasselbe Absolute?

Abstimmung der Lehren auf den Kontext der Zuhörer

Die Vermittlung der Lehren erfolgte einerseits mittels Lehrreden, andererseits durch das glaubwürdige Vorleben der Lehrinhalte durch die Begründer selbst. Die Religionsstifter hatten dabei die Herausforderung zu meistern, für die Mehrheit der Zuhörer schwer nachvollziehbare Inhalte auf eine verständliche Art zu vermitteln. Dazu mussten die Lehren auf den sozialen, kulturellen, religiösen und persönlichen Kontext der Zuhörer abgestimmt werden. Dieser Kontext war zum Zeitpunkt der Offenbarung für jede Religion sehr unterschiedlich. 

Gingen die Religionsstifter von der gleichen Erfahrung des Absoluten aus?

Es stellt sich nun die Frage, ob alle Religionsstifter von der gleichen Erfahrung ausgingen und sich ihre Lehren somit auf das gleiche Absolute beziehen; oder anders gefragt, ob die inhaltlichen Unterschiede in den Lehrreden der Religionsstifter schwergewichtig durch den Kontext bedingt waren, oder ob sie einen grundsätzlich anderen Ursprung haben.

Ob sich die Lehren auf das gleiche Absolute beziehen, lässt sich nicht ohne weiteres nachweisen. Es ist aber zu vermuten, dass die Unterschiede in den Lehrreden im Wesentlichen durch den je unterschiedlichen Kontext der Begründer erklärt werden können. Das ist insofern plausibel, als die verschiedenen Religionen, v.a. im Bereich der mystischen Erfahrung des Absoluten, der Wert- bzw. Verhaltensebene und der religiösen Praktiken, signifikante Parallelen aufweisen.

Zudem ist zu bedenken, dass sich auch den Religionsstiftern möglicherweise nicht die volle Tiefe der transzendenten Wirklichkeit des Absoluten offenbart hat. Damit ist die Möglichkeit gegeben, dass sie teilweise unterschiedliche Aspekte des Absoluten wahrgenommen und vermittelt haben. 

Wer ist „der Beste“?

Jede Religion und viele religiöse bzw. spirituelle Gruppen haben die Tendenz, den eigenen Begründer bzw. den eigenen spirituellen Lehrer absolut zu setzen, z.B. den einzigen ‚Sohn Gottes‘, den unüberbietbaren und nicht multiplizierbaren Offenbarer der Wahrheit, den ‚letzten Propheten‘, das ‚einzige erleuchtete Wesen‘, den weisesten, erleuchtetsten und besten Meister, Lama etc. 

Wie könnten die Religionsstifter beurteilt werden?

Welcher der Begründer ist nun der am ‚weitesten Entwickelte‘ oder der ‚Beste‘? Um diese Frage allgemein gültig beantworten zu können, müssten zuerst Kriterien definiert werden, nach denen die einzelnen Religionsstifter zu beurteilen wären. Dabei sind zwei grosse Hürden zu überwinden:

  1. müssten sich die Religionen auf entsprechende Kriterien einigen bzw. ein von ‚der Wissenschaft‘ vorgegebenes Raster akzeptieren,
  2. müssten die einzelnen Religionen ein allgemein akzeptiertes und plausibles Profil ihrer Begründer erstellen, an das die Kriterien anzusetzen wären. 

Wie wäre das praktisch umsetzbar?

Bei jeder Kriterienbildung stellt sich immer die Frage nach dem Bezugssystem, d.h. woran allgemein gültige Kriterien auszurichten wären (Archimedischer Punkt). Dieses Problem könnte theoretisch dadurch überwunden werden, dass sich die einzelnen Religionen auf einen Katalog von Kriterien einigen.

Die Quellenlage dürfte es hingegen kaum erlauben, die volle spirituelle Tiefe der historischen Begründer eindeutig festzustellen. Es würden also vermutlich nur die philosophischen bzw. theologischen Konzepte der Begründer verglichen, was den Wert eines solchen Vergleichs in Frage stellt.

Ausserdem wird keine Religion bereit sein, die Idealisierung und Absolutsetzung ihres Religionsstifters in Frage zu stellen. Da die Religionsstifter für viele Anhänger der jeweiligen Religion als Brücke zum Absoluten eine zentrale Funktion innerhalb des Glaubenssystems einnehmen, kann eine solche Infragestellung auch aus rein praktischen Gründen problematisch sein. 

Wer ‚der Beste‘ war bzw. ist, lässt sich nicht allgemein gültig feststellen. Damit fehlt den Absolutheitsansprüchen der einzelnen Religionen in Bezug auf die Position ihrer Begründer eine allgemeingültige Basis. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass alle Religionsstifter letztlich Mittler desselben Absoluten waren. Für die eigene spirituelle Praxis zentral ist die Rolle der Mittler als spirituelle Leitfiguren und Brücke zum Absoluten.

Jesus oder Buddha?

Während einzelne Buddhisten die Ansicht vertreten, Jesus sei ’nur‘ ein Bodhisattva, nicht aber ein Buddha gewesen, messen viele Christen dem Opfertod Jesu‘ zum Wohle aller Wesen einen weit höheren Stellenwert zu als dem ‚egoistischen‘ Weg des Buddha ins Paranirvana. Sie halten zudem fest, dass Jesus der unüberbietbare und nicht multiplizierbare Offenbarer der göttlichen Wahrheit sei. Dazu ist folgendes festzustellen:

  • Über die ’spirituelle Tiefe‘ von Jesus und Buddha können wir keine Aussage machen. Dazu fehlen uns das Wissen über das innere Wesen der beiden Religionsstifter und auch ein Referenzrahmen, anhand dessen wir ein Urteil bilden könnten. Wir können nicht wissen, ob nicht auch Jesus ein Buddha war und nach der Auferstehung ins Paranirvana eingegangen ist, oder ob Buddha dem Absoluten so nahe stand wie Jesus und im Kontext des alten Palästina zum Opfertod bereit gewesen wäre.
  • Jesus und Buddha haben in völlig unterschiedlichen Kontexten gelebt. Ihr Werdegang und ihre Lehren müssen immer in ihrem jeweiligen Kontext gesehen werden.
  • Die Buddhaschaft und der Eingang ins Paranirvana können nicht aus egoistischen Motiven erfolgt sein, da sich ein Buddha ja (per Definition) dadurch auszeichnet, dass er sein Ego überwunden hat und sich durch grenzenloses Mitgefühl allen Wesen gegenüber auszeichnet. Buddha ist zudem nach seiner Erleuchtung 40 Jahre lang lehrend durch Indien gezogen und hat dadurch sehr vielen Menschen geholfen. Er hat sich also keineswegs nach seiner Erleuchtung ins Nirvana ‚zurückgezogen‘, wie viele Christen behaupten. 

Fazit. Sowohl Jesus als auch Buddha haben aus ihrer inneren Einsicht in das Absolute und mit grosser Hingabe und Mitgefühl ihren Mitwesen gegenüber gewirkt. Es gibt auf dieser Welt keine Instanz, die zu beurteilen vermöchte, ob nun Buddha oder Jesus geistig-spirituell weiter entwickelt oder dem Absoluten näher gestanden sind. Ein solches Urteil wäre angesichts unserer beschränkten Einsicht in das Absolute und sein Wirken vermessen.

Die Heiligen

Kaum eine der Weltreligionen hätte bis heute überlebt, wäre sie nicht im Laufe ihrer Geschichte immer wieder von Menschen mit einer mehr oder weniger tiefen Erfahrung des Absoluten neu belebt worden. Auch wenn die etablierten, meist mehr an der Erhaltung der (Macht-)Strukturen interessierten, religiösen Institutionen diese spirituell Hochbegabten oft abgelehnt oder gar verfolgt haben, so ist ihr Wirken bis heute spürbar und für den inneren Wert einer Religion unverzichtbar.

Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang z.B. Franziskus von Assisi, Niklaus von Flüe, Johannes vom Kreuz, Theresa von Avila auf christlicher und Padmasambhava, Garab Dorje auf tibetisch-buddhistischer Seite. Die Reihenfolge ist willkürlich, die Auswahl nicht abschliessend; es gibt viele andere, auch in den hier nicht erwähnten Religionen.