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Die Gemeinwohl-Ökonomie

Bild von Silke Heisterkamp auf Pixabay
Was ist Ziel und Zweck der Gemeinwohl-Ökonomie? Wie soll die Gemeinwohl-Ökonomie verwirklicht werden? Wo liegen die Knackpunkte der Gemeinwohl-Ökonomie?

Inhaltsverzeichnis

Worum es geht

Die Geschichte

Die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie geht zurück auf Joachim Sikora und Günter Hoffmann, die 2001 die „Visionen einer Gemeinwohl-Ökonomie (Katholisch-Soziales Institut der Erzdiözese Köln, 2001) entwarfen. Elemente dieser Vision waren Regiogeld, Schwundgebühr, leistungsorientiertes Grundeinkommen (im Sinne einer negativen Steuer) und Bodenreform. 2008 legte » Christian Felber mit seinem Buch Neue Werte für die Wirtschaft (Paul Zsolnay Verlag, 2008) die Grobskizze einer neuen Wirtschaftsordnung vor.

Mittlerweile ist die Bewegung zur Gemeinwohl-Ökonomie nach eigenen Angaben in 100 regionalen Gruppen in über 40 Ländern aktiv.

Was ist das Ziel der Gemeinwohl-Ökonomie?

Die Promotoren der Gemeinwohl-Ökonomie streben eine Wirtschaftsordnung an, die für alle Menschen die gleichen Rechte, Freiheiten und Chancen vorsieht. Die Gemeinwohl-Ökonomie soll den Fokus von Geld und Kapitalvermehrung hin zum Gemeinwohl verschieben. Anstatt auf Konkurrenz und Gewinnmaximierung setzt die Gemeinwohl-Ökonomie auf gemeinwohlfördernde Werte wie Kooperation und Solidarität.

Die Eckpunkte des Konzeptes

Basis des aktuellen Modells sind die Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen sowie 20 inhaltliche Eckpunkte. Diese Eckpunkte sind bislang noch relativ vage formuliert und sollen in einem breiten Beteiligungsprozess konkretisiert werden. Mit Hilfe von Volksabstimmungen sollen Teile des Modells auch in den Verfassungen verankert werden. U.a. folgende Eckpunkte werden zur Diskussion gestellt:

Gemeinwohlorientierung

  • Der rechtliche Anreizrahmen für die Wirtschaft soll von Gewinnstreben und Konkurrenz auf Gemeinwohlstreben und Kooperation umgepolt werden. Konkurrenz soll zwar möglich, aber mit Nachteilen verbunden sein. Unternehmen sollen für gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit belohnt werden.
  • Wirtschaftlicher Erfolg soll nicht mehr nur am finanziellen Ergebnis eines Gemeinwesens oder eines Wirtschaftssubjekts gemessen werden, sondern schwergewichtig an dessen Beitrag zum Gemeinwohl. Auf der Ebene der Volkswirtschaft wird das Brutto-Inland-Produkt (BIP) als Erfolgsindikator vom Gemeinwohl-Produkt abgelöst, auf der Unternehmensebene der Finanzbilanz eine Gemeinwohl-Bilanz vorangestellt.
  • Die Grundsätze und Werte der Gemeinwohl-Ökonomie sollen in der Schule entsprechend vermittelt werden. Dazu werden Fächer wie z. B. Gefühlskunde, Wertekunde, Kommunikationskunde, Demokratiekunde, Naturerfahrenskunde, Körpersensibilisierung und Kunsthandwerk vorgeschlagen.

Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen

  • Um sich vor Sozial- und Umweltdumping zu schützen, soll die EU eine Fair-Handelszone errichten. Die Höhe der Einfuhrzölle für Importe in diese Zone soll sich an den Gemeinwohl-Bilanzen der entsprechenden Hersteller orientieren.
  • Unternehmensgewinne sollen für Investitionen, Rückzahlung von Krediten, Rücklagen, Ausschüttungen an die Mitarbeiter sowie für zinsfreie Kredite an andere Unternehmen verwendet werden, nicht aber für die Vermögensvermehrung externer Kapitalgeber oder feindliche Aufkäufe anderer Unternehmen.
  • Bei Grossunternehmen sollen ab einer bestimmten Grösse Stimmrechte und Eigentum schrittweise an die Beschäftigten und an die Allgemeinheit übergehen.
  • Die Gemeinwohl-Bilanz eines Unternehmens oder einer Gemeinde ist das Herzstück der Gemeinwohl-Ökonomie. Sie zeigt auf, wie human, wertschätzend, kooperativ, solidarisch, ökologisch und demokratisch sich eine Organisation verhält. Unternehmen mit guten Gemeinwohl-Bilanzen sollen verschiedene Vorteile erhalten, wie z.B. niedrigere Steuern, geringere Zölle, günstigere Kredite und Vorrang bei öffentlichen Vergabungen. Die Gemeinwohl-Bilanz soll erst ein freiwilliges Instrument sein, später aber verpflichtend werden.
  • Die Regel-Erwerbsarbeitszeit wird schrittweise reduziert, damit Zeit frei wird für Fürsorgearbeit (Kinder, Kranke, Alte), Eigenarbeit sowie politische und Gemeinwesenarbeit. Zudem soll jedes zehnte Berufsjahr zu einem durch ein bedingungsloses Grundeinkommen finanziertes Freijahr werden.

Finanz- und Geldsystem

  • Finanzmärkte in der heutigen Form soll es nicht mehr geben. Weitere Details sind im Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie nicht zu finden.
  • Geld und Kapital sind nur Mittel für das Gemeinwohl und das gute Leben. Der Einsatz von Geld soll auf seine Funktion als Tauschmittel beschränkt werden. Während im Ansatz von Sikora noch von Regiogeld und einer Schwundgebühr die Rede war, fehlt dieser Ansatz im aktuellen Konzept. Die Idee einer Schwundgebühr auf Geldbeständen besteht darin, die Akkumulation und Hortung von Geld mittels einer ‚Parkgebühr‘ (z.B. Negativzinsen) weniger attraktive zu machen.
  • Die Demokratische Bank dient dem Gemeinwohl und wird von einem demokratischen Souverän kontrolliert. Ihre Kernleistungen sind sichere Vollgeldkonten, Zahlungsverkehr, ethische Sparanlagen und Kredite sowie die Beteiligung an regionalen Gemeinwohl-Börsen. Über die Verzinsung von Sparanlagen und Krediten enthält das aktuelle Konzept nur indirekte Aussagen. So sollen sich Unternehmen zinsfreie Darlehen gewähren (siehe oben).
  • Für den internationalen Wirtschaftsaustausch soll eine globale Währungskooperation mit einer globalen Verrechnungseinheit („Globo“, „Terra“) errichtet werden.

Einkommen und Besitz

  • Einkommen und Vermögen sollen in einem demokratischen Prozess begrenzt werden, um Einkommens- und Vermögensungleichheiten zu vermindern. Erbschaften über beispielsweise CHF 500’000 würden abgeschöpft und über einen Generationenfonds als negative Erbschaftssteuer an alle Mitglieder der Folgegeneration verteilt. Der Grenzwert soll von einem Wirtschaftskonvent demokratisch ermittelt werden.
  • Ein bedingungsloses Grundeinkommen soll den Grundbedarf der Menschen decken. Es würde eine Transformation von einer Arbeits- in eine Tätigkeitsgesellschaft stattfinden, in der Erwerbsarbeit, Familienarbeit und ehrenamtliche Tätigkeiten denselben Stellenwert hätten. Finanziert werden soll das bedingungslose Grundeinkommen über höhere Steuern auf hohen Einkommen und Vermögen sowie dem Wegfall von Sozialleistungen.
  • Grund und Boden sollen nicht mehr als Privateigentum gehalten, sondern nur noch im Nutzungsrecht mit entsprechenden ökologischen Auflagen abgegeben werden.

Partizipation

  • Sämtliche Massnahmen zur Realisierung einer Gemeinwohl-Ökonomie, wie z.B. die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, sollen über einen demokratischen Prozess legitimiert werden.
  • Dazu sollen eine Reihe von Gremien geschaffen werden, die eine Demokratisierung der wirtschaftlichen und politischen Landschaft sicherstellen.

Diskussion

Die Grundidee ist diskussionswürdig

Die Grundidee einer am Gemeinwohl orientierten Wirtschaft erscheint sympathisch in einer Zeit, in der der einzelne Mensch sich zunehmend von der Eigendynamik einer globalisierten Wirtschaft überrollt fühlt (» Kapitalismus). Einzelne der eingebrachten Ansätze sind denn auch durchaus diskussionswürdig und wurden teilweise in der Schweiz sogar zur Abstimmung gebracht, allerdings (noch) mit einem negativen Ergebnis.

Was ist Gemeinwohl?

Es existiert keine allgemein akzeptierte und verbindliche Norm dafür, was als „Gemeinwohl“ anzusehen ist. Dies müsste in einem umfassenden demokratischen Willensbildungsprozess erst bestimmt werden.

Anschliessend müssten auch die Elemente einer Gemeinwohl-Ökonomie (siehe Punkte oben) sowie deren konkrete Ausgestaltung in einem demokratischen Prozess konkretisiert und legitimiert werden.

Die Realisierung einer Gemeinwohl-Ökonomie bedingt einen massiven Kulturwandel auf verschiedenen Ebenen. Ein solcher Wandel braucht erfahrungsgemäss viel Zeit. In der Schweiz mit seinem direktdemokratischen System dürfte dies ein längerer Prozess werden.

Allerdings würden bereits die Thematisierung und breite Diskussion einer auf das Gemeinwohl ausgerichteten Wirtschaft wertvolle Impulse liefern und wirtschaftspolitische Massnahmen ermöglichen, die das System langsam und schrittweise in die Richtung von mehr Gemeinwohl bewegen.

Fehlende Standards für die Gemeinwohlbilanz

Eine grosse Herausforderung dürfte die Definition eines allgemeingültigen Standards für die Ermittlung der Gemeinwohlbilanzen darstellen. Konkret stellen sich die folgenden Fragen:

  • Welche Aspekte des Konzepts werden mit welchen Indikatoren gemessen?
  • Wie werden die einzelnen Indikatoren gewichtet?
  • Wie werden die einzelnen Indikatoren gemessen, so dass die resultierenden Werte über alle Unternehmen vergleichbar sind?

Es hat bereits verschiedene Versuche gegeben, das Gemeinwohl in Indikatorensystemen abzubilden, so z.B. die Modelle einer betrieblichen Sozialbilanz, das System der OECD-Sozialindikatoren, der OECD Better Life Index oder das von Bhutan eingebrachte Konzept des Bruttonationalglücks. In der Praxis hat bisher keines dieser Konzepte ausreichende Akzeptanz und Verbreitung gefunden, um sich als allgemeiner Standard durchsetzen zu können.

Kollektivistische Elemente erschweren Umsetzbarkeit und Akzeptanz

Die Gemeinwohl-Ökonomie beansprucht für sich selbst, eine Markt- und keine Planwirtschaft zu sein. Sie enthält jedoch verschiedene Elemente, die stark an eine kollektivistische Planwirtschaft kommunistischer Prägung erinnern. Ansätze wie z.B. eine Bodenreform oder die faktische Enteignung der Eigentümer grösserer Unternehmen stellen massive Eingriffe in das verfassungsmässig garantierte Recht  auf Eigentum dar.

Die Erfahrung mit kollektivistischen Ansätzen mag punktuell positiv sein (z.B. in Klöstern), im grossen Stil umgesetzt enden diese Ansätze erfahrungsgemäss immer in totalitären bürokratischen Systemen, die nicht nur die Freiheit der Bürger stark beschneiden, sondern in aller Regel wirtschaftliche Prosperität und Innovation abwürgen und einen stark negativen Effekt auf die Lebensqualität ausüben (» Sozialismus).

Fazit

In der aktuellen Ausgestaltung ist das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie im besseren Fall eher etwas weltfremd, im schlechteren Fall der Ausgangspunkt für ein totalitäres System.

Die grundsätzliche Stossrichtung sowie einzelne Aspekte des Ansatzes sind jedoch durchaus bedenkenswert und sollten weiterverfolgt werden.

Links / Literatur

» GWÖ – Die Gemeinwohl-Ökonomie

» Die Sozialinitiative der evangelischen und katholischen Kirche

» Peter Ulrich, Ethik, Politik und Ökonomie des Gemeinwohls, Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik zfwu 20 (2019), Heft 3, S. 296-319