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Normative Ethik

Welche Ansätze von Ethik gibt es? Wie sind diese charakterisiert? Liefern die Ansätze alle die gleichen klaren Antworten auf ethische Fragestellungen? Was ist eine Dilemmasituation?

Inhaltsverzeichnis

Ansätze der Normativen Ethik

 Im Rahmen der Normativen Ethik gibt es verschiedene Ansätze, wie nach Antworten auf die Frage nach dem ‚richtigen Handeln‘ in ethisch relevanten Fragestellungen gesucht werden kann:

Gesinnungsethik / Pflichtethik (Deontologische Ethik)

Das Handeln als solches und die ihm zugrundeliegende Gesinnung werden beurteilt, und zwar unabhängig von den möglichen Folgen. Leitlinie ist der „Kategorische Imperativ“:

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Immanuel Kant

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Verantwortungsethik / Utilitaristische Ethik (Teleologische Ethik)

Das Handeln wird aufgrund seiner Folgen beurteilt. Eine Handlung wird dann als gut bezeichnet, wenn die positiven Folgen auf das Ganze gesehen voraussichtlich überwiegen bzw. einem verantwortbaren Entscheid zugrundeliegen. » mehr…

Diskursethik

In der Diskursethik einigen sich die Betroffenen (Stakeholder) mittels eines kontrollierten Verfahrens auf einen Konsens. » mehr…

Tugendethik

Aus der Erkenntnis, dass im praktischen Leben letztlich das Verhalten des Einzelnen zählt und dieses von der eigenen Wertebasis abhängt, wird im Ansatz der Tugendethik schwergewichtig an dieser Wertebasis und am eigenen Verhalten gearbeitet. Dies kann, muss aber nicht in einem religiösen Kontext erfolgen. » mehr…

Religiöse / Theologische Ethik

Das Nachdenken über ‚richtiges‘ bzw. ‚gutes‘ Handeln aus einer religiösen Perspektive. Auf der Basis des jeweiligen Glaubenssystems mit seinen Schriften und deren Auslegung werden entsprechende Schlussfolgerungen für das moralisch ‚richtige‘ Handeln abgeleitet. » mehr…

Spirituelle Ethik

Basiert auf Anerkennung, Respekt und Liebe zu allen Wesen, ja der ganzen Schöpfung. » mehr…

    Dilemmasituationen: Zwang zur Wahl des kleineren Übels

    Die Welt ist komplex und selten schwarz-weiss. Auch mit der besten Absicht ist es oft nicht einfach herauszufinden, was in einer gegebenen Situation das angemessenste Verhalten wäre. Wir stehen häufig vor Dilemmasituationen. Wie die folgenden Beispiele zeigen, haben wir oft nur die Wahl, das kleinere Übel zu wählen.

    Die verschiedenen Ansätze der Ethik werden im Folgenden auf diese beiden Beispiele angewendet. 

    Flugzeugabschuss

    Stellen Sie sich vor: Terroristen entführen ein Flugzeug mit über 200 Passagieren und steuern damit auf eine dicht besiedelte Innenstadt zu, mit der Absicht, tausende von Menschen in den Tod zu reissen. Darf das Flugzeug notfalls abgeschossen werden, bevor es die Stadt erreicht? Darf der Staat bzw. eine staatliche Institution das Leben von 200 Passagieren ‚opfern‘, auf die Möglichkeit hin, so vielleicht das Leben von tausenden von Menschen zu retten? Darf man die Leben der 200 Passagiere gegen diejenigen der Stadtbewohner aufrechnen?

    Das oben stehende Extrembeispiel einer Dilemmasituation zeigt exemplarisch auf, mit welcher Art von Fragen sich die Ethik auseinanderzusetzen hat. Das Beispiel ist übrigens durchaus konkret: Die Frage wurde in Deutschland im Jahr 2006 kontrovers diskutiert und hat zu einem » Entscheid des Bundesverfassungsgerichts geführt. 

    Covid-19 Pandemie

    Ein aktuelles Beispiel für Dilemmasituationen ist die Covid-19 Pandemie. Auch in diesem Fall mussten bei der Festlegung von Massnahmen zur Bekämpfung verschiedene Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen werden. 

    Ende 2019 geriet in Wuhan, China, ein Virus in Umlauf, das sich im Laufe der Monate zu einer weltweiten Pandemie entwickelte. Die Sterbestatistik zeigt, dass das Virus, von Ausnahmen abgesehen, v.a. für ältere Menschen mit Vorerkrankungen gefährlich ist.

    Um die durch Covid-19 gefährdeten Personen zu schützen und um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, wurden unter dem Begriff ‚Lockdown‘ praktisch in allen Ländern der Welt umfassende Massnahmen ergriffen. Verfassungsmässig garantierte Grundrechte wie die Versammlungs- und Gewerbefreiheit wurden teilweise stark eingeschränkt und grosse Teile der Wirtschaft heruntergefahren. Die Massnahmen haben die Sozialsysteme an den Anschlag gebracht, die Schuldenlast der öffentlichen Hand stark erhöht und viele Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht oder gar in den Konkurs getrieben. Viele Menschen haben ihre wirtschaftliche Basis verloren, wurden entlassen oder mussten mindestens temporär Lohneinbussen in Kauf nehmen. Die Mehrzahl der Länder dürfte noch über viele Jahre an den Folgen der Krise und deren Bewältigung zu leiden haben. Die Massnahmen wurden i.d.R. durch die Regierungen per Dekret verordnet und – wenn überhaupt – erst nachträglich demokratisch legitimiert. In der Schweiz wurden die vom Bundesrat ergriffenen Massnahmen im Rahmen einer Ausserordentlichen Session der Eidgenössischen Räte vom 4. bis 6. Mai 2020 nachträglich genehmigt. Zudem hat das Volk die Covid-Massnahmen bzw. deren Verlängerung bis 2024 in drei Volksabstimmungen mehrheitlich gutgeheissen.

    Im Fall der Covid-19 Pandemie bestehen folgende ethische Spannungsfelder:

    • Negative Auswirkungen eines Lockdown von Wirtschaft und Gesellschaftsleben und verfassungsmässig garantierte Freiheitsrechte vs. Schutz des Lebens.
      War die starke Einschränkung der verfassungsmässig garantierten bürgerlichen Bewegungs- und Freiheitsrechte gerechtfertigt durch den erhöhten Schutz einer Bevölkerungsgruppe vor einer potenziell lebensgefährlichen Erkrankung?
      Waren die erheblichen Einschränkungen der verfassungsmässig garantierten Gewerbefreiheit und der entsprechenden hohen sozialen und wirtschaftlichen Folgekosten vertretbar?
    • Persönliche Freiheitsrechte vs. Schutz des Lebens durch einen partiellen Impfzwang.
      War es ethisch vertretbar, dass für spezifische Lebensbereiche de facto ein Impfzwang eingeführt wurde?
    • Abweisung von älteren Covid-19 Patienten mit wenig Überlebenschancen (Triage) im Fall von überlasteten Intensivstationen vs. Recht auf Leben.
      Auf welcher ethischen Basis wurde diese Triage vorgenommen?
    • Von den politischen Exekutiven ohne gesetzlich Grundlagen ergriffene Massnahmen vs. demokratische Legitimation (zu Beginn der 1. Welle).
      Inwiefern war die (vorübergehende) Aushebelung der demokratischen Entscheidprozesse durch die Anwendung von Notrecht ethisch vertretbar?