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Der Buddhismus – eine gottlose Religion?

Bild von randomhh auf Pixabay
Was versteht man unter ‚Leerheit‘? In welcher Beziehung steht die Leerheit zu den Phänomenen in Raum und Zeit? Inwiefern ist der Buddhismus eine atheistische Religion?

Inhaltsverzeichnis

Kennt der Buddhismus ein Absolutum?

Einleitung

Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Buddhismus kennt keinen personalen Schöpfergott. Ausgehend vom Konzept der Leerheit aller Dinge wird von der buddhistischen Philosophie auch die Existenz eines Absolutum abgelehnt. Dabei ist jedoch zu beachten, wie in der Buddhistischen Philosophie der Begriff „Existenz“ definiert ist.

Da sich jedoch das auf diesen Seiten vertretene Konzept eines Absolutum jenseits jeder konzeptionellen Vorstellung und damit auch jenseits der Vorstellung einer eigenständigen Existenz oder Nicht-Existenz bewegt, lässt sich die im Titel gestellte Frage nicht ohne weiteres beantworten.

Das Konzept der Leerheit (śunyata) von Nāgārjuna

Nāgārjuna war ein buddhistischer Philosoph und Lehrer, der im 2. oder 3. Jh. n. Chr. in Indien gelebt hat. Er war ein Vertreter der Schule des „Mittleren Weges“ (Mādhyamaka). Sein wichtigstes Werk war die „Grundlegenden Merkverse des Mittleren Weges“ (Mūla-madhyamaka-kārikā – MMK). 

Die Philosophie von Nāgārjuna ist als Reaktion auf die zwei Extrempositionen des Eternalismus (sarvam asti: alle Dinge existieren real) und des Nihilismus (sarvaṃ nāsti: nichts existiert) zu verstehen.

Unter einer „realen Existenz“ (svabhāva) verstand Nagārjuna eine Entität mit einer Eigennatur, die aus sich selbst heraus entstanden ist und ewig, unveränderlich sowie von allen anderen Entitäten unabhängig existiert. In seinem Werk „Mūla-madhyamaka-kārikā“ (MMK) zeigt Nāgārjuna mittels logischer Ableitungen auf, dass so verstandene reale Entitäten nicht existieren können  bzw. dass alle Dinge bedingt entstanden sein müssen und kein eigenständiges, unabhängiges Wesen (svabhāva) haben können. Diese Eigenschaft der Dinge wird als „Leerheit“ bezeichnet („leer von Eigennatur“).

Dem Konzept liegt die Erkenntnis zugrunde, dass alles was erfahren wird, durch Bedingungen entsteht, und dass etwas nicht entsteht, wenn die entsprechenden Bedingungen nicht gegeben sind. Jedes Ding ist „leer“ und damit nicht real, sondern wie ein Traum oder eine magische Illusion. Da die Leerheit selbst kein realer Gegenstand ist (sondern selbst leer ist), kann man nicht sagen, dass Leerheit existiert oder nicht existiert. Die Dinge sind ohne Eigennatur (ohne inhärente Existenz) (svabhāvatā); sie sind letztlich leer (śūnya). Die Leere (śūnyatā) ist aber kein Nichts, denn ein angenommenes Nichts wäre ja auch ein Etwas und somit als ein Sein zu qualifizieren. Somit gibt es weder Sein noch Nichtsein, sondern nur die allen Phänomenen zugrunde liegende Leerheit. 

Im 1. Kapitel der MMK stellt Nagārjuna fest:

„Nicht aus sich selbst, nicht aus einem anderen, nicht aus beidem, und nicht ohne Ursache sind irgendwelche Dinge irgendwo und irgendwann entstanden.“

Eine zentrale Implikation des Konzepts ist die Ablehnung der Existenz sowohl eines Absoluten als auch einer ewigen Seele bzw. eines Selbst (ātman). Dabei ist jedoch immer im Auge zu behalten, wie die buddhistische Philosophie des Mādhyamaka den Begriff „Existenz“ definiert.

Phänomene in Raum und Zeit – die relative Wirklichkeit

Bei diesen Überlegungen ist zu beachten, dass in der buddhistischen Philosophie zwischen einer relativen bzw. konventionellen Wahrheit (saṃvṛtisatya) und einer absoluten Wahrheit (paramārthasatya) unterschieden wird. Letztere ist nur erleuchteten Wesen direkt zugänglich.

Nach buddhistischer Lehre sind Phänomene in Raum und Zeit vergängliche, traumhafte Illusionen. Alles ist aus verschiedenen, sich ständig neu zusammenfindenden Komponenten zusammengesetzt und daher der Vergänglichkeit und Veränderung unterworfen. Dabei entstehen und vergehen Erscheinungen nicht aus sich selbst heraus, sondern aufgrund des Zusammentreffens von Faktoren oder Bedingungen, die die jeweilige Erscheinung erst ermöglichen. Deshalb werden sie als ‚leer‘ bezeichnet.

Die Phänomene in Raum und Zeit sind insofern ‚leer‘, als sie keine unabhängige und dauerhafte Eigennatur aufweisen. Sie bestehen nicht permanent, aus sich selbst heraus und unabhängig von allem anderen. Sie bilden die ‚relative Wirklichkeit‘.

Unsere Welt bzw. das Universum gehört zur relativen Wirklichkeit und wird als Erscheinung angesehen, die sich aus der Leerheit manifestiert und nach dem Gesetz des Karmas (Gesetz von Ursache und Wirkung) ewig fortsetzt (perpetuiert). Das gilt auch für den Menschen. Das menschliche ‚Ich‘ wird als nicht von dauerhafter und substantieller Natur betrachtet. 

Das Schweigen des Buddha

Der Überlieferung nach hat sich der Buddha geweigert, zu 14 konkreten Fragen Stellung zu nehmen. Es geht hier um Fragen, wie diejenige, ob die Welt ewig oder nicht ewig ist, ob sie Grenzen hat oder nicht, ob das Leben identisch ist mit dem physischen Körper, ob jemand, der die Wahrheit kennt, nach dem Tod weiterexistiert oder nicht, ob das Leiden von einem selbst verursacht ist oder nicht.

Es gibt verschiedene Erklärungen für dieses Schweigen des Buddha. Eine davon ist, dass der Buddha der Ansicht war, dass seine Anhänger ihre Energie besser in die Erkenntnis der Vier Edlen Wahrheiten und die Überwindung des Leidens investieren, anstatt metaphysischen Spekulationen nachzuhängen. Eine andere Erklärung geht davon aus, dass der Buddha erkannt hat, dass alle möglichen Antworten auf die 14 Fragen die Existenz eines dauerhaften Selbst voraussetzen. 

Leerheit und Form – Zusammenspiel von absoluter und relativer Wirklichkeit

Nach buddhistischer Lehre ist die Leerheit bzw. die absolute Wirklichkeit nicht ohne die Manifestation von Erscheinungen (Form bzw. relative Wirklichkeit) denkbar. Leerheit und Form stehen in einem engen Zusammenhang:

„Leerheit ist Form
Form ist Leerheit
Leerheit ist nicht verschieden von Form
Form ist nicht verschieden von Leerheit.“

Herz-Sutra

Die absolute (Leerheit) und die relative Wirklichkeit (Form) lassen sich nicht voneinander trennen – es gibt das eine nicht ohne das andere. 

Erfahrungen der Leerheit

Der Mensch besitzt das Potenzial, Leerheit direkt zu erfahren. Der Schlüssel hierzu ist die Entwicklung von ‚Achtsamkeit‘ bzw. ‚Gewahrsein‘ durch Meditation und andere yogische Praktiken. (siehe dazu auch » Gotteserfahrungen

Ist der Buddhismus eine Religion?

Es gibt Stimmen, die den Buddhismus nicht als Religion, sondern als (atheistische) Lebensphilosophie sehen. Dazu ist folgendes anzumerken:

  • Auch der Buddhismus kennt, wie das Christentum, ein absolutes Prinzip, die ‚Leerheit‘, aus der sich die relative Wirklichkeit der Phänomene (Schöpfung) manifestiert. Der Buddhismus geht jedoch, im Gegensatz zum Christentum, nicht von einem ‚personalen Schöpfergott‘ aus. Im Buddhismus wird auch keine Aussage über einen bewussten initialen Schöpfungsakt gemacht; der Leerheit werden keine personalen Aspekte zugeordnet. Siehe auch » Schlussfolgerungen zum Absoluten 
  • Die christliche Vorstellung von einem allgütigen, allmächtigen und allwissenden personalen Schöpfergott ist nicht als Beschreibung einer Realität, sondern als Metapher und theologisches Denkmodell zu verstehen. Sie taugt deshalb nicht als abschliessende Definition des Absoluten. Siehe dazu auch » Schlussfolgerungen zum Absoluten und die Diskussion zur » Theodizee.
  • Das Absolute (Leerheit) wird auch im Buddhismus mit Liebe und Mitgefühl assoziiert – Qualitäten, wie sie ebenso dem Christlichen Gott zugeschrieben werden. 
  • Ob der Buddhismus als Religion anzusehen ist, hängt wesentlich von der Definition des Begriffs ‚Religion‘ ab. Es existiert jedoch keine allgemeingültige Definition des Begriffs ‚Religion‘. Wird Religion im Sinne einer ’substanzialistischen Definition‘ verstanden, so ist sie als ein Phänomen zu betrachten, das das Heilige, Transzendente bzw. Absolute zum Wesen hat und die Auseinandersetzung des Menschen mit dieser transzendenten Macht erklärt. Dies tut der Buddhismus offensichtlich und erfüllt somit die Kriterien dieser Definition von Religion. Siehe auch » Definition des Begriffs ‚Religion‘
  • Ob der Buddhismus als atheistische Religion anzusehen ist, hängt davon ab, wie ‚Atheismus‘ definiert ist. Wird unter Atheismus lediglich die Ablehnung der Existenz eines allwissenden und allmächtigen personalen Schöpfergottes verstanden, so könnte man den Buddhismus tatsächlich als atheistische Religion ansehen. Wird unter Atheismus jedoch die generelle Ablehnung eines transzendenten absoluten Prinzips verstanden, so ist der Buddhismus nicht als atheistische Religion anzusehen. Siehe auch » Die Position des expliziten Atheismus