Spirituell begründete Ethik
Spiritualität kann als erfahr- bzw. erahnbare geistige Verbindung zum Transzendenten bzw. Absoluten verstanden werden (siehe » Spiritualität). Das Absolute lässt sich nicht in rationale Kategorien fassen (siehe » Das Absolute), wird aber in allen Religionen mit Werten wie Liebe und Barmherzigkeit in Verbindung gebracht.
„Die Menschen sollten aus Liebe und im Nachvollzug der göttlichen Liebe ethisch korrekt handeln.“
Mouhanad Khorchide, Islam ist Barmherzigkeit – Grundzüge einer modernen Religion, Herder 2012, S. 59
Spirituell reife Menschen handeln aus Liebe und Mitgefühl ethisch korrekt. Sie versuchen, sich intuitiv, d.h. aus ihrem Herzen heraus, angemessen zu verhalten, unabhängig von formalen Moralkodizes (siehe dazu auch das » Moralstufensystem nach Kohlberg – 6. Stufe).
„Ama et fac quod vis!“ – „Liebe und tue was du willst!“
Augustinus
Voraussetzung für einen solchen Umgang mit Ethik ist jedoch die entsprechende Herzensbildung, d.h. die Ausbildung von Herzensqualitäten wie Liebe, Mitgefühl und Barmherzigkeit, kombiniert mit einer guten Vernunft und Intuition (siehe dazu auch » Tugendethik).
Eine spirituell begründete Ethik orientiert sich an Respekt, Mitgefühl und Liebe zu allen Wesen, ja der ganzen Schöpfung.
Das hört sich in der Theorie gut an, aber wie lässt sich dies realisieren? ↑
Diskussion
Gottesferne als erste Ursache
Wie andernorts (» Menschliche Antriebsfaktoren – warum handeln Menschen unethisch?) dargestellt, liegt aus spiritueller Sicht die letztendliche Ursache für unethisches Verhalten in der Abgrenzung des Menschen vom Absoluten (Gottesferne). Der damit verbundene Fokus auf ‚Ich‘ und ‚Mein‘ erzeugt im Menschen eine Tendenz zu systematischen Charakterschwächen und unethischem Verhalten.
„Einen wirklichen Humanismus werden wir nicht durch Gebote erreichen, sondern durch Erkenntnis und durch die mystische Erfahrung der Einheit mit allen Wesen. Wir müssen zu unserer eigentlichen Quelle vordringen, zu unserem wahren Wesen, zu unserem göttlichen Kern oder wie immer wir das nennen wollen. Jede Moral von aussen scheint letztlich zum Scheitern verturteilt zu sein. Trotzdem müssen wir versuchen, den Kindern zu sagen, wie sie vernünftig in dieser Gesellschaft existieren können. (…) Aber eine wirkliche Wandlung des Menschen kommt aus der Tiefe des Seins.“
Willigis Jäger, Die Welle ist das Meer, Herder 2012, S. 14
Eine spirituell begründete Ethik müsste demnach an der Hauptursache für unethisches Verhalten, nämlich der Gottesferne und dem damit verbundenen Fokus auf ‚Ich‘ und ‚Mein‘ ansetzen. Das ist sicher ein nachhaltiger Ansatz, nur ist die Rückbindung des Menschen an Gott ein langer Prozess (siehe » Pfad). ↑
Arbeit an den immanenten Grundschwächen des Menschen
Realistischer ist deshalb, erst einmal die immanenten Grundschwächen (Hauptlaster) des Menschen zu thematisieren, ihre Konsequenzen aufzuzeigen und dem Menschen zu helfen, seine eigenen Schwächen zu erkennen und daran zu arbeiten (siehe » Menschliche Antriebsfaktoren – warum handeln Menschen unethisch?).
Weitere wichtige Komponenten in der Entwicklung einer spirituellen Ethik sind die gezielte Förderung von positiven Werten und Tugenden (siehe » Tugendethik). Diese Schulung sollte im Kindesalter auf der Basis von altersgerechten Inhalten und entsprechenden pädagogischen Konzepten beginnen.
Ethisches Verhalten und die Entwicklung von Tugenden sind zudem zentrale Elemente eines spirituellen Pfades (siehe auch » Regeln und Gebote); ja sie bilden in der Regel das eigentliche Fundament einer spirituellen Schulung. ↑