Die Maslowsche Bedürfnishierarchie – was den Menschen im Innersten antreibt
Menschen werden durch ein angeborenes Wachstumspotential angetrieben
Während die frühen psychologischen Schulen (Psychoanalyse, Behaviorismus) den inneren Antrieb des Menschen v.a. auf seine Triebe und Reflexe zurückführten, propagierte der amerikanische Psychologe Abraham Maslow (1908–1970) mit seinem Konzept der » Bedürfnishierarchie des Menschen eine differenziertere Sicht auf den Menschen. Maslow ging davon aus, dass Menschen von Natur aus eher gut sind und nicht bloss durch niedere Triebe gesteuert werden. Sie werden vielmehr ‚durch ein angeborenes Wachstumspotential angetrieben‘, um ihr höchstes Ziel, die Selbstverwirklichung bzw. Transzendenz zu erreichen. ↑
Menschen entwickeln sich entlang einer Bedürfnishierarchie
Im Rahmen eines persönlichen Prozesses entwickelt sich der Mensch entlang einer Bedürfnishierarchie (in der Grafik unten von links nach rechts). Im Laufe des Entwicklungsprozesses treten neue Bedürfnisse auf, während die alten etwas an Bedeutung verlieren. Im Normalfall sind jeweils mehrere Bedürfnisse gleichzeitig aktiv, treten jedoch unterschiedlich stark in Erscheinung.
Bei seinem Streben entlang der Bedürfnishierarchie hat der Mensch jeweils gewisse Vorstellungen davon, wie sich seine Bedürfnisse befriedigen lassen und handelt dementsprechend. Maslow geht davon aus, dass sich der Mensch in diesem Prozess positiv entwickelt, wenn man ihn in seiner Entwicklung nicht behindert. ↑
Diskussion
Auch wenn Menschen gemäss Maslow eher gut sein mögen, so zeigt die Erfahrung, dass das menschliche Handeln aus ethischer Perspektive nicht immer unproblematisch ist. Oft geht die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse auf Kosten der eigenen Gesundheit, der Interessen anderer Menschen oder der Umwelt. ↑
Das Modell von Maslow vermag zwar die Bedürfnisstruktur des Menschen in seiner Entwicklung zu erklären, nicht aber sein Verhalten.
Persönliche Moralkompetenz
Das ’should-self‘ und das ‚want-self‘
„Der Mensch ist weder Engel noch eine Bestie, und sein Unglück ist, dass er umso bestialischer wird, je mehr er ein Engel sein will.“
Blaise Pascal
Häufig fehlt es nicht an der persönlichen Einsicht, was in der gegebenen Situation aus ethischer Sicht geboten wäre, sondern an fehlender Moralkompetenz im Sinne einer praktischen Anwendung der eigenen moralischen Standards (should-self). Dieses should-self beeinflusst zwar unsere Absichten, in der konkreten Entscheidsituation ist jedoch der kurzfristige Vorteil oder Lustgewinn (want- self) oft entscheidungsrelevanter, weil aktuelle Bedürfnisse unmittelbarer befriedigt werden. ↑
Das ‚want-self‘ ist oft stärker als das ’should-self‘
Das want-self liegt eben näher bei den unmittelbaren Emotionen als das should-self. Das Problem ist eine mangelnde Handlungskompetenz. Die Herausforderung liegt somit darin, die eigenen Moralstandards in der Entscheidungssituation auch tatsächlich anzuwenden. ↑
Menschen versuchen, auf dem Weg zur Selbstentfaltung ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Abhängig von der eigenen Persönlichkeit, der Situation und dem kulturellen Umfeld tun sie dies jedoch nicht immer, ohne sich selbst, andere Menschen oder die Umwelt zu schädigen.
Der ‚Ego-Faktor‘ – ein Erklärungsansatz aus spiritueller Perspektive
Was ist nachhaltiges Glück?
Nachhaltiges Glück ist nur in Verbindung mit dem Absoluten zu erreichen
Aus spiritueller Sicht sind der letztendliche Sinn des Lebens und ein wirklich nachhaltiges Glück nur in Verbindung mit dem Absoluten bzw. dem eigenen ‚göttlichen Funken‘ (Selbst/Atman, Buddhanatur) zu finden. Das Grundproblem des Menschen besteht aus dieser Sicht darin, sich als vom Absoluten und der übrigen ‚Schöpfung‘ abgegrenzte Entität wahrzunehmen (‚Ignoranz‘ bzw. ‚Gottesferne‘). ↑
Kompensationshandlungen sorgen für vorübergehendes Glück
Da die Verbindung zum Göttlichen bei vielen Menschen verschüttet ist, müssen Kompensationshandlungen für vorübergehendes Glück sorgen. Die meisten Menschen verbinden deshalb mit Glück in erster Linie die Befriedigung weltlicher (materieller und sozialer) Bedürfnisse. Das eigene Glück ist dabei an bestimmte Lebensumstände, Dinge und Menschen gekoppelt. Verändern sich diese oder gehen gar verloren, führt dies zu Erfahrungen von Verlust und Schmerz – das Glück geht verloren. ↑
Der Mensch entwickelt immer neue Bedürfnisse
Ist ein Bedürfnis befriedigt, gewöhnt sich der Mensch schnell an die neuen Umstände, das anfängliche Gefühl von Glück klingt rasch ab. Es manifestieren sich jedoch immer wieder neue Bedürfnisse, deren Befriedigung vorübergehendes Glück versprechen (‚Hedonistische Tretmühle‘, Hilke Brockmann). Dabei stossen wir zunehmend an die Grenzen der verfügbaren natürlichen Ressourcen und geraten in Konflikt mit den oft unterschiedlichen Bedürfnissen anderer Menschen. ↑
Die systematischen Schwächen des Menschen
Die ‚Sieben Hauptlaster‘ des Menschen
Ein sich als vom Absoluten bzw. der ‚Schöpfung‘ abgegrenzt verstehender Mensch entwickelt ein starkes Gefühl von ‚Ich‘ und ‚Mein‘. Dieses wiederum fördert die Tendenz zu systematischen Schwächen des Menschen, wie sie z.B. die katholische Morallehre in sieben Kategorien zusammenfasst: Die ‚Sieben Hauptlaster des Menschen‘ gemäss katholischer Morallehre
- Superbia oder Hochmut (Eitelkeit, Stolz, Arroganz): Wenn der eigene Wert höher angesehen wird als er wirklich ist, sich innerlich über andere Menschen stellen.
- Avaritia oder Geiz (Habgier): Übertriebene Sparsamkeit verbunden mit dem Unwillen Güter zu teilen, rücksichtsloses Streben nach materiellem Besitz.
- Luxuria oder Wollust (Begehren, Unkeuschheit): Starke sexuelle Begierde, erotische Einbildungskraft.
- Ira oder Zorn (Wut, Rachsucht): Gefühl der Unzufriedenheit, das sich als wutartiger Affekt mit Kontrollverlust oder als längerdauerndes Grollen gegenüber anderen Menschen äussern kann.
- Gula oder Völlerei (Gefrässigkeit, Masslosigkeit, Selbstsucht): Neigung zu einem ausschweifenden und masslosen Leben, jegliches Phänomen mit Suchtpotenzial.
- Invidia oder Neid (Eifersucht, Missgunst): Gefühl des Unbehagens über das persönliche Glück oder den Erfolg eines Mitmenschen, innerer Drang den beneideten Vorzug zunichte zu machen.
- Acedia oder Faulheit (Trägheit des Herzens): Phlegma, Aversion gegen Arbeit und Aktivität, Trägheit des Herzens, Verlust der Tatkraft, Trübung des Willens. ↑
Die „Fünf Geistesgifte“ (Tibetischer Buddhismus)
Die anderen Religionen kennen ähnliche Kataloge mit identischem oder vergleichbarem Inhalt, wie das Beispiel der ‚Fünf Geistesgifte‘ im Tibetischen Buddhismus zeigt:
- Anhaftung: Geiz, Gier, Sucht, emotionale Bindungen.
- Abneigung: Ablehnung, Ausgrenzung, Wut, Hass.
- Eifersucht: Neid, Missgunst.
- Stolz: Eitelkeit, Arroganz.
- Ignoranz: Nicht-Wissen(-Wollen) bzw. fehlende Einsicht in die Dinge, wie sie wirklich sind (Unbeständigkeit, gegenseitige Abhängigkeit und fehlende Eigennatur alles Entstandenen, einschliesslich der eigenen Person).
Jeder Mensch strebt nach innerer Erfüllung, Liebe, Freude und Glück und versucht, dies durch die Befriedigung seiner Bedürfnisse zu erreichen. Der Mensch denkt aber erst einmal an das eigene und vielleicht noch an das Wohl seiner Nächsten (Egoismus). Er oder sie sieht nicht ohne weiteres ein, dass das eigene Glück von seiner Verbindung zum Absoluten, vom Glück aller anderen Menschen sowie von einer gesunden Umwelt abhängig ist. Aus spiritueller Perspektive liegt die Grundursache für unethisches Verhalten letztlich in der Ignoranz bzw. Gottesferne des Menschen, die ihn/sie von nachhaltigem Glück abschneidet. ↑
Die Faktoren für unethisches Verhalten in der Praxis
Die Frage stellt sich nun, welche praktischen Voraussetzungen gegeben sein müssen für unethisches Verhalten im konkreten Fall.
Die umfassende Metaanalyse von Kish-Gephart, Harrison & Treviño (2010) zu ethischem Verhalten in Unternehmen zeigt, dass ethische Verhalten durch eine Kombination von drei Faktorgruppen beeinflusst wird:
- Individuelle Faktoren. Es gibt Menschen, die eher zu unethischem Verhalten neigen als andere. Zumeist sind dies Personen, die schwergewichtig die eigenen Ziele und den eigenen Nutzen im Blick haben, d.h. Menschen, die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse über die Interessen anderer Menschen und der Umwelt stellen.
- Situative Faktoren. Unterschiedliche Bedingungen und wahrgenommene Konsequenzen beeinflussen, wie eine Person sich in einer ethisch relevanten Situation entscheidet. Je konkreter die entsprechenden Normen und Regeln ausgestaltet sind und je konsequenter sie durchgesetzt werden, desto wahrscheinlicher ist ethisches Verhalten. Es ist zudem relevant, wie sensibel das Umfeld auf unethisches Verhalten reagiert. Je klarer die Haltung der Peer Group oder einer Gemeinschaft gegenüber unethischem Verhalten ist, desto wahrscheinlicher ist ethisches Verhalten – freilich nicht unbedingt aus innerer Einsicht. Je direkter wir mit den Konsequenzen von unethischem Verhalten, z.B. mit dem Leid anderer Menschen, direkt konfrontiert sind, desto eher neigen wir zu ethischem Verhalten.
- Kulturelles Umfeld. In jeder Gemeinschaft oder Organisation wird eine spezifische Kultur gelebt, die ein entsprechendes ethisches Klima schafft. In einer egoistischen Kultur, in der jeder nur für sich schaut, sei es eine Gesellschaft oder ein Unternehmen, ist die Wahrscheinlichkeit für unethisches Verhalten höher als in einer Gesellschaft mit einer kooperativen und wohlwollenden Kultur. ↑