Die Grundfunktion der Wirtschaft
Warum brauchen wir überhaupt so etwas wie die Wirtschaft? Um physisch überleben zu können, braucht der Mensch Nahrung, Wohnung, Kleidung, Wärme und medizinische Grundversorgung. Um materiell gut zu leben, braucht es noch einige Dinge mehr. Die Wirtschaft stellt einen Rahmen zur Verfügung, der den Menschen ermöglicht, im Austausch gegen eine Arbeitsleistung ihre materiellen Bedürfnisse zu decken. Die Tätigkeit in der Wirtschaft kann darüber hinaus auch eine interessante Beschäftigung sowie eine Sinngebung im Leben bringen. Die Wirtschaft ist nie unabhängig vom Menschen, denn es gibt die Wirtschaft nur, weil es Menschen gibt. Im Grundsatz müsste demnach gelten: ↑
Die Wirtschaft ist Mittel zum Zweck, sie muss dem Menschen dienen.
Der Teufelskreis von Arbeit und Konsum
Die Wirtschaft sollte den Menschen dazu dienen, ihre Bedürfnisse zu decken. Sie sollte also Diener der Menschen sein. Wer sich heute in der Arbeitswelt umschaut oder die Zeitung aufschlägt, kommt zu einem anderen Schluss: Der Mensch ist heute als Arbeitnehmer und Konsument mindestens ebenso sehr Diener der Wirtschaft:
- Als Konsument bin ich angehalten, möglichst viel zu konsumieren, denn Konsum fördert die Wirtschaft.
- Je besser die Wirtschaft floriert, umso eher werde ich als Arbeitskraft beschäftigt und entschädigt.
- Als Arbeitskraft bin ich angehalten, möglichst gut zu funktionieren. Je besser ich im Sinne des Systems funktioniere und je mehr ich leiste, umso besser werde ich entschädigt.
- Je besser ich entschädigt werde, umso mehr Möglichkeiten habe ich zu konsumieren.
- Zurück zu Punkt 1: Je mehr ich konsumiere, umso besser läuft die Wirtschaft. Konsumieren alle weniger, bricht die Wirtschaft zusammen und viele von uns verlieren ihre Stelle.
Fazit: Wir sind letztlich in einem Teufelskreis gefangen. Der Mensch ist zum Sklaven eines Systems geworden, das er selbst geschaffen hat. ↑
Das erweiterte Stakeholdermodell des Wirtschaftens
Als Stakeholder bzw. Anspruchsberechtigte werden Personen oder Gruppen von Personen bezeichnet, die ein berechtigtes Interesse an einer Sache, wie z.B. einem Unternehmen, haben. In der betriebswirtschaftlichen Praxis wird zwischen internen und externen Stakeholdern eines Unternehmens unterschieden. Zu den internen Stakeholdern werden die Mitarbeiter und die Eigentümer gezählt, zu den externen Stakeholdern die Kunden, Lieferanten, aber auch der Staat.
Um die Sphären von Umwelt und der göttlichen Schöpfung im weitesten Sinne erweitert, könnte das Modell wie folgt aussehen:
Abb: Die Wirtschaft ist in einen grösseren Kontext eingebunden
Sowohl die einzelnen Wirtschaftssubjekte (Unternehmen, Konsumenten) als auch die Wirtschaft als Ganzes werden dabei in einen grösseren Zusammenhang gestellt. Die Wirtschaft ist somit als Subsystem in die Gesellschaft und in die natürliche Umwelt eingebettet. Innerhalb und zwischen den verschiedenen Subsystemen besteht ein komplexes Geflecht von Interdependenzen. ↑
Die Wirtschaft kann nicht isoliert und von den anderen Subsystemen losgelöst betrachtet werden, sondern muss immer auch in ihrem politischen, sozialen und ökologischen Kontext gesehen werden. Die Bedürfnisse von Gesellschaft und Umwelt bilden den äusseren Rahmen, innerhalb dessen sich das Wirtschaften bewegen muss. Dass dieser Rahmen heute v.a. in Bezug auf die soziale Gerechtigkeit und die natürliche Umwelt zu wenig beachtet wird, stellt eines der Hauptprobleme unserer Zeit dar.
Die drei Hauptzwecke der Wirtschaft
Im Grundsatz müsste die Wirtschaft den folgenden Zwecken dienen:
- Der fundamentale Zweck der Wirtschaft besteht darin, die materiellen und teilweise auch die immateriellen Bedürfnisse der Menschen auf möglichst effiziente Art zu befriedigen.
- Der humane und soziale Zweck der Wirtschaft besteht darin, Arbeitsplätze mit vertretbaren Arbeitsbedingungen anzubieten, die ein möglichst hohes Mass an persönlicher Entfaltung ermöglichen. Anzustreben ist zudem eine möglichst gute Verteilgerechtigkeit von Einkommen und Vermögen.
- Der ökologische Zweck der Wirtschaft besteht darin, die natürlichen Ressourcen nicht nur zu gebrauchen, sondern sie auch zu pflegen und zu bewahren, damit sie späteren Generationen möglichst unversehrt zur Verfügung stehen.
Die oben dargestellten Zwecke des Wirtschaftens stehen in einem ständigen Spannungsverhältnis zueinander. So gehen Verteilungsgerechtigkeit und Ökologie oft auf Kosten der wirtschaftlichen Effizienz. Die Zwecke müssen deshalb in einem ausgewogenen Gleichgewicht gehalten werden:
Wird einer der Zwecke missachtet oder absolut gesetzt, ist die Sinnhaftigkeit der Wirtschaft als Ganzes in Frage gestellt.
Eine ideale Situation ist auf dieser Welt kaum zu erreichen. Gefragt ist deshalb eine laufende pragmatische Optimierung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in einem möglichst partizipativen politischen Prozess. ↑
Welches Wirtschaftssystem bietet die beste Basis?
Um diese Frage zu beantworten, soll der Blick erst auf die Akteure des Wirtschaftslebens – die Menschen – gerichtet werden (» Homo Oeconomicus).
Anschliessend werden verschiedene Wirtschaftssysteme im Hinblick auf die drei Hauptzwecke der Wirtschaft – Effizienz, soziale Gerechtigkeit und Ökologie – beleuchtet (» Kapitalismus, » Sozialismus, » Gemeinwohl-Ökonomie, » Soziale Marktwirtschaft).
In einem weiteren Kapitel werden Chancen und Risiken der Globalisierung beleuchtet (» Globalisierung).
Anschliessend werden eine Reihe von wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen zur Diskussion gestellt (» Rahmenbedingungen).
Am Schluss werden die kulturellen und persönlichen Voraussetzungen für ein sozial und ökologisch nachhaltiges Wirtschaften herausgearbeitet (» Kulturelle Basis, » Spirituelle Basis). ↑
Literatur
Peter Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik – Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, Bern: Paul Haupt, 2001
Arthur Rich, Wirtschaftsethik, Grundlagen in theologischer Perspektive, Gütersloh, 1984
Arthur Rich, Wirtschaftsethik, Marktwirtschaft, Planwirtschaft, Weltwirtschaft aus sozialethischer Sicht, Gütersloh, 1990 ↑
Links
» Institut für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen
» Denkfabrik Wirtschaftsethik – Menschliche Marktwirtschaft Me’m